Die regionale Bio-Wasserstoffwirtschaft nach Karl-Heinz Tetzlaff

Wasserstoff, "missing link" bei den Erneuerbaren Energien
Fossile Energien werden immer teurer, das bezweifelt wohl niemand mehr. Immer mehr Anlagen zur Energieerzeugung (-umwandlung) weichen daher auf Strom aus, im Heizungsbereich sind das die Wärmepumpen und die Infrarotheizungen. Der Stromverbrauch wird daher trotz aller Anstrengungen zur Effizienzsteigerung nicht sinken, sondern eher noch steigen. Wo soll aber der Strom herkommen, wenn wir sowohl die Atomkraft als auch die Kohlekraftwerke möglichst bald abschaffen wollen. Einen hohen Prozentsatz soll die Windenergie abdecken und längerfristig soll auch die Photovoltaik viel mehr liefern. So lauten in der Regel die Szenarien bis zum Jahr 2050. Da diese Energieformen aber nicht stetig zur Verfügung stehen (Photovoltaik fällt für den Wärmemarkt im Winter eigentlich vollständig aus) brauchen wir eine Technik für diese Lücke, und zwar keine Grundlast-Technik wie die Biogasanlagen, sondern eine Technik, die uns Regelenergie zur Verfügung stellt. Ansonsten werden gewaltige Speicher (ca. 400 Walchensee-Speicherkraftwerke für Deutschland) und gleichzeitig aufwändige Überlandtrassen zum Stromaustausch notwendig. Nur eine echte Wasserstoff-Wirtschaft kann mittelfristig eine solche Regelenergie ohne fossile Energie zur Verfügung stellen, so dass Speicher und Stromtrassen im bezahlbaren Rahmen bleiben können.

Wie soll das gehen?
Biomasse wird bisher schon als Speichermedium genutzt, z.B. in Heizwerken und Heizkraftwerken mit angeschlossener Fernwärmeversorgung. Die meisten Anlagen arbeiten mit Hackschnitzeln und nur wenige Anlagen erzeugen auch Strom. Aber schon bald wird ein Ende des Ausbaus erreicht, da nicht mehr Holz aus nachhaltiger Wirtschaft zur Verfügung steht. Die Stromerzeugung aus Holz ist also begrenzt. Biogasanlagen können noch ausgebaut werden, sie erzeugen aber Grundlast und auch ihr Ausbau bringt verschiedene Probleme mit sich (Monokultur, schwierige Abwärmenutzung).
Die Bio-Wasserstoffwirtschaft nutzt eine ähnliche Biomasse wie die Biogasanlage, nämlich Grassilage (auch Energiegras), die Effizienz ist aber etwa dreimal so hoch, da der Strom beim Endkunden in KWK-Anlagen wärmegeführt erzeugt wird. Auch bestehende Biogasanlagen können in die Wasserstofftechnik integriert werden. Sie werden gebraucht um den nährstoffreichen Presssaft aus der Silage zu vergären und damit den Mineralstoffkreislauf zu schließen.

Und jetzt zur Bio-Wasserstoffwirtschaft nach Karl-Heinz Tetzlaff
Grassilage (Wassergehalt ca. 70 bis 75 Prozent) wird ausgepresst und der Presskuchen mit max. 50 Prozent Wassergehalt wird in speziellen Vergasungsanlagen bei 850 Grad Celsius in ein sog. Synthesegas umgewandelt. Da mit hohen Wassergehalten und Luftabschluss gearbeitet wird, ist dieses Synthesegas fast Stickstoff-frei und enthält schon sehr viel Wasserstoff (ca. 10 bis 40 Prozent). Ein weiterer wesentlicher Anteil ist Kohlenmonoxid, das durch Wasserdampfzugabe bei ca. 350 Grad zu Wasserstoff und Kohlendioxid umgebaut wird. Jetzt haben wir die richtige Gaszusammensetzung und müssen nur noch die Stoffe trennen. Wir bekommen hochreinen Wasserstoff, hochreines Kohlendioxid, brennbare Restgase und ca. ein Prozent Asche. Die Restgase können verwendet werden um den Prozess zu beheizen, die Asche kann als Dünger auf Wiesen und Felder ausgebracht werden. Wenn das Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen wird ist der Prozess CO2-neutral, es kann aber auch für die verschiedensten Zwecke weiterverwendet werden, da es in sehr reiner Form anfällt (Gewächshäuser, Algenproduktion, Arbeitsgas für Wärmepumpen, Methansynthese usw.).

Vorteil bei der Wasserstoffherstellung: ca. 80 Prozent der in der Biomasse gespeicherten Energie steht nach dem Prozess im Wasserstoff zur Verfügung.

Und jetzt kommen die entscheidenden Schritte: Der Wasserstoff wird per Gasleitung verlustfrei zum Endkunden gebracht, ähnlich wie heute das Erdgas, und dort in wärmegeführten Brennstoffzellen genutzt. Es entstehen also keine weiteren Verluste, weder bei der Weiterleitung noch bei der Nutzung, da die Brennstoffzellen automatisch den Brennwert des Wasserstoffs umsetzen und nur dann in Betrieb sind, wenn die Abwärme gebraucht wird. Da die Brennstoffzellen etwa gleich viel Strom wie Wärme produzieren, entsteht in jedem angeschlossenen Haushalt automatisch ein Stromüberschuss und zwar genau zur richtigen Zeit, nämlich im Winter mehr als im Sommer.

Damit füllt die Wasserstoffwirtschaft in idealer Weise die Lücke bei den erneuerbaren Energien.

Nur der Anfang ist nicht ganz einfach. Da es sich um eine völlig neue Technik handelt, brauchen wir eine komplett neue Infrastruktur, die anfangs neben der Erdgasversorgung aufgebaut werden muss. Zusätzlich zur Wasserstoff-Leitung muss aber auch die Produktion und der Verbrauch von Wasserstoff Schritt für Schritt entwickelt und aufgebaut werden. Wenn aber das erste Wasserstoffwerk produziert und die ersten hundert Brennstoffzellen arbeiten, dann wird es ganz schnell gehen, denn die wirtschaftlichen Vorteile sprechen für sich. Der Endverbraucher wird seine Wärme praktisch kostenlos produzieren, weil er allein durch die Vorteile bei der Stromerzeugung sämtliche Ausgaben für Wasserstoff, Wartung und Gebühren bezahlen kann. Diese Wärmeerzeugung zum Nulltarif wird gewaltigen Druck auf die Erdgasversorger ausüben auf Wasserstoff umzustellen.

Damit ergibt sich sofort die Frage: Warum funktioniert das nicht mit Erdgas?

Im Prinzip geht es schon, aber es ist aus vielen Gründen alles andere als wirtschaftlich. Mit dem Programm "Callux" wird schon seit Jahren mit viel Förderung versucht die Kraft-Wärme-Kopplung mit Brennstoffzellen zum Endkunden zu bringen. Bis jetzt sind weniger als 300 Geräte in Betrieb und einige Firmen haben sich schon zurückgezogen, da an eine Wirtschaftlichkeit nicht zu denken ist.
Es gibt vielmehr unzählige Probleme, die vorhersehbar waren: Brennstoffzellen arbeiten mit Wasserstoff und dieser muss erst im Gerät aus Erdgas erzeugt werden. Dadurch sinkt der Wirkungsgrad und die Geräte werden träge. Ein Start dauert mindestens 30 Minuten und viele Starts schädigen das Gerät. Um einen möglichst langen Betrieb sicherzustellen werden Geräte mit nur einem Kilowatt elektrischer Leistung gebaut, die dann aber nur die Grundlast abdecken und ein viel zu hohes Kosten-/Nutzen-Verhältnis haben. Während Brennstoffzellen am Wasserstoffnetz praktisch keine Betriebskosten verursachen, gehören Brennstoffzellengeräte am Erdgasnetz zu den teuersten Varianten der Beheizung eines Einfamilienhauses.

Doch zurück zur echten Wasserstoffwirtschaft. Wie hoch ist hier die Effizienz?
Am besten verdeutlicht das eine Faustformel: Ein Hektar Grünland versorgt eine ganze Familie mit Energie.
Ca. 5.000 kWh Strom, 20 MWh für Heizung und Warmwasser und 10 MWh fürs Auto (15.000 km)

Wie wird der Wasserstoff zur Regelenergie?
Was heißt eigentlich Regelenergie? Ohne Speicher muss die Energieerzeugung mit dem Verbrauch immer genau zusammenpassen, sonst gibt es Probleme. In der Realität gibt es aber Tag und Nacht, Sommer und Winter und damit ändert sich der Verbrauch stündlich, ja minütlich. Den Ausgleich schaffen die Stromkonzerne mit großen Verbundnetzen und mit Speicherkraftwerken. Bei der Wasserstoffwirtschaft wirken sich einige Aspekte selbststabilisierend aus, andere ermöglichen eine einfache Nachregelung. Die wichtigste Eigenschaft der Wasserstoffwirtschaft ist die Kraft-Wärme-Kopplung beim Endkunden. Sie hat zur Folge, dass im Winter mehr Strom erzeugt wird als im Sommer und das ist gut so, weil da die Photovoltaik praktisch ausfällt und gerade da mehr Strom für Wärmepumpen und Infrarotheizungen gebraucht wird. Die Diskrepanz zwischen Erzeugung und Verbrauch von Strom ist damit wesentlich entschärft, so dass ein Ausgleich über einfache Preisgestaltung (einfaches smart grid) und über Wärmepufferung möglich wird (BHKW an Fernwärmenetzen, Kühlhäuser, etc.).

Wie aber wird eine schwankende Wasserstoff-Nachfrage ausgeglichen?
Tag- und Nachtschwankungen kann das Wasserstoffnetz in der Regel im Netzdruck abpuffern. Wenn am Tag mehr Wasserstoff verbraucht wird, dann wird der Druck absinken. In der Nacht, wenn der Verbrauch zurückgeht, wird dann wieder ein höherer Druck aufgebaut.
Jahreszeitliche Schwankungen können erst ab einer Ausbaustufe von drei bis vier vernetzten Wasserstoffwerken gut ausgeglichen werden. Im Winter werden alle Werke in Betrieb sein. Wenn dann im Frühjahr und Sommer der Verbrauch absinkt, wird ein Werk nach dem anderen den Betrieb einstellen, so dass immer nur so viel Wasserstoff erzeugt wird, dass der Bedarf gedeckt werden kann. Nur beim ersten Werk muss man auf Erdgasreformer zurückgreifen, um eine ausreichende Versorgungssicherheit garantieren zu können.

Wie kann man anfangen?
Der Anfang ist wirklich nicht leicht. Eine komplett neue Infrastruktur muss aufgebaut werden, die Erzeugung, die Leitung und die Geräte beim Verbraucher. Aber es gibt durchaus Übergangslösungen. So könnte man z.B. Wasserstoff ins bestehende Erdgasnetz zusätzlich einspeisen, was ja unter dem Namen Windgas schon propagiert wird. Der Normalkunde würde keinen Unterschied merken, ein Kunde mit Brennstoffzelle aber könnte damit schon Strom erzeugen. Dazu wird das Mischgas durch eine Brennstoffzelle geleitet, diese holt sich gezielt den Wasserstoff heraus und setzt ihn in Strom und Wärme um, während das Methan einfach hindurchströmt und in einem nachgeschalteten Gasheizkessel verbrannt und genutzt wird. Etwas Erfindergeist und wir könnten den Umstieg in wenigen Jahren schaffen.

Zusammenfassung der Vorteile einer Wasserstoffwirtschaft:
- durch einfache Kraft-Wärme-Kopplung beim Endkunden verdoppelt sich die Effizienz
- mit steigender Effizienz wird weniger Primärenergie verbraucht
- durch den niedrigen Primärenergieverbrauch wird regionale Selbstversorgung möglich
  (die anderen erneuerbaren Energien helfen ja mit: Wind- und Wasserkraft, Biogas, Geothermie und PV)
- eine gut berechenbare nachhaltige Biomasse wird erschlossen (feuchte Biomasse, Grassilage)
- die Landwirtschaft erhält ein neues Standbein, auch Nebenerwerb lohnt sich wieder
- verträglich mit dem Fremdenverkehr: keine Monokultur, die Landschaft wird weiterhin gepflegt
- die Abhängigkeit von Energielieferungen gehört der Vergangenheit an
- die Energie wird umweltverträglich bereitgestellt und bleibt bezahlbar
- die Kernenergie wird so überflüssig wie ein Kropf
www.heizungsvergleich.de vom 06.01.2016          Angaben ohne Gewähr Impressum